Kirchboote
und ihr historischer Hintergrund
Die
historischen finnischen Kirchboote aus der Zeit vor der Reformation waren Nachbauten der Langboote der alten Wikinger,
mit denen die damaligen finnischen Stämme ihre Transporte auf den
Binnengewässern, Flüssen, ja sogar auf den Meeren durchführten. Mit der
Glaubenserneuerung begann die Kirche den Bau und die Instandhaltung dieses
Bootstyps zu fordern, wodurch die weite Verbreitung dieser Boote über ganz
Finnland erklärbar ist.
Besitzrechte
Auftraggeber
und späterer Besitzer war häufig eine genossenschaftsähnliche Vereinigung
einzelner Gutsbesitzer und deren Pächter. Die Mitglieder waren
gleichberechtigte Eigner, die ihren Anteil durch den Besitz einzelner Ruder
nachwiesen. Die Baukosten und die anfallenden Reparaturen wurden zu gleichen
Teilen von allen Beteiligten aufgebracht. Fast immer war der Älteste unter den
Mitgliedern Vorsitzender der Vereinigung, ihm unterstand traditionell das
Recht, als Steuermann des Bootes zu fungieren. Den übrigen Dorfbewohnern ohne
eigenes Land war es möglich, Anteile am Kirchboot zu erhalten, indem sie sich
an Bootsreparaturen beteiligten, den Anteilseignern im Rahmen von
Nachbarschaftshilfe bei allgemeinen Arbeiten Unterstützung gewährten, sich als
Ruderer anboten oder durch Spenden in Form von Beeren, Butter, Fisch oder
Geldbeträgen zum Erhalt der Boote beitrugen. Nicht selten traten auch größere
Höfe oder Dorfgemeinschaften als Kirchbooteigner auf.
Bau der Boote
Das
zum Bau der Boote notwendige Baumaterial wurde mit größter Sorgfalt bereits im
Winter ausgewählt. Als Kielholz suchte man einen in geeigneter Weise
gewachsenen Nadelbaum aus, dessen Wurzelholz als natürlich gewachsener Bug
bereits vorhanden war. Die größten, gerade gewachsenen Kiefern oder Fichten
wurden zu Brettern für die Bootsplanken gesägt, die Spanten wurden aus
Fichtenholz gebogen oder man verwendete das Holz des Wacholders dafür. Unter
der Leitung eines extra dafür angeworbenen Bootsbaumeisters wurde im Frühling
das Boot auf Stapel gelegt. Für Unterkunft und Verpflegung des Spezialisten
hatten alle Anteilseigner im Wechsel Sorge zu tragen. Hilfskräfte für den
Bootsbaumeister stellten die beteiligten Bauernhöfe ab. Die für das Boot später
benötigten Metallteile, wie Bugring, Ruderdollen,
Nägel und Ähnliches wurden in der Dorfschmiede gefertigt. Die für die
Klinkerbauweise der Boote typischen Fugen zwischen den Planken wurden mit
geteertem Werg abgedichtet, die Boote sofort nach Fertigstellung mehrfach mit
Teer gestrichen. Farbige Anstriche waren zu der Zeit absolut unüblich und kamen
erst viel später auf. Nahezu jedes Dorf entwickelte seinen ganz speziellen Bootstyp, wobei die Bootsgröße von der Anzahl der
Anteilseigner und den örtlichen Gegebenheiten abhing, wie etwa Gewässertyp oder
Art und Länge der zurückzulegenden Strecken. Die größten bekannten Boote mit
bis zu 30 Ruderpaaren wurden in Sääminki, (Savonlinna) gebaut. Genaue Kenntnisse der Längen- und
Breitenmaße der Boote liegen nicht vor, es ist jedoch überliefert, dass in den
größten bis zu drei Metern breiten und ca. 40 Metern langen Booten acht
Personen auf einer Ruderbank Platz gefunden haben müssen.
Bootsnamen
Üblicherweise
wurden die Boote auf die Ortsnamen der sie besitzenden Gemeinden getauft. Es
fanden aber auch Begriffe aus der Tier- und Pflanzenwelt Verwendung. Mitunter
taufte man Boote nach ihrem äußeren Erscheinungsbild wie etwa "Großer
Schwarzer" oder der Art, wie sich die Boote auf dem Wasser bewegten.
Kirchfahrten
Im
harten, arbeitsreichen Alltag bedeuteten die Bootsfahrten zur Kirche eine
willkommene Abwechslung, konnte man doch im Boot und anschließend auf dem
Kirchhof mit Bekannten Neuigkeiten austauschen. Der Jugend bot sich dabei in
Ermangelung von heutigen Tanzplätzen oder Dorffesten die einzige Gelegenheit,
in Kontakt mit den Altersgenossen der umliegenden Ortschaften zu treten. Nicht
selten fand man den zukünftigen Ehepartner auf dem Kirchhof. Normale Gründe für
Bootsfahrten zur Kirche waren Hochzeiten, Kindstaufen, Begräbnisse und
Konfirmationen. Abhängig von der Entfernung zur Kirche, machte man sich jeden
zweiten Sonntag oder nur ein paar Mal im Sommer auf den Weg. Bei sehr langer
Anfahrt brach man bereits am Samstagmorgen auf. Die Entscheidung, wer mit von
der Partie war, fiel entweder bereits am Vorabend oder unmittelbar vor der
Abfahrt. Um eine möglichst schnelle Fahrt zu erreichen, wurde das Boot
hinsichtlich des Gewichtes sehr gleichmäßig besetzt, um bremsende Heck- oder
Buglastigkeit zu vermeiden. Anteilseigner allerdings hatten die freie Wahl
ihrer Sitzplätze, wobei die Bänke im Heck vorgezogen wurden. In Erwartung der
anstehenden Wettfahrten wurden immer möglichst gleichstarke Ruderer auf eine
Bank gesetzt. Selbstverständlich versuchten auch die jugendlichen Ruderer,
ihnen möglichst sympathische Ruderpartner neben sich zu bekommen. Bei Fahrten
zu Begräbnissen wurde der Sarg mit dem Leichnam im Heck mitgeführt. Am Steuer
der Boote war in der Regel ein älterer, sehr erfahrener Ruderer, der die
Strecke mit ihren Windverhältnissen gut kannte und darüber hinaus für Ordnung
und Disziplin im Boot sorgte. Zum Zeitvertreib während der Bootsfahrt sangen
die Besatzungen Psalme und Kirchenlieder. Aber auch
Volkslieder gehörten durchaus zum Repertoire der rudernden Sänger. Lange
Bootsfahrten wurden durch Anlegen an vertrauten Rastplätzen unterbrochen, es
wurde Kaffee gekocht und die mitgeführten Lebensmittel verzehrt. Ja, man nahm
sich sogar Zeit für ein kleines Nickerchen. Bei Fortsetzung der Fahrt wurden
die Ruderer abgelöst. Bekleidet waren die Mannschaften während der Fahrt nicht
unbedingt mit Festtagskleidung, die Frauen saßen barfuss
in Unterhemden und Unterröcken auf den Bänken, die Kopftücher um die Hälse
geschlungen, die Männer in Filzhosen, die Beine hochgekrempelt, an den Füßen
Birkenrindenschuhe. Man bemühte sich, immer so rechtzeitig am Kirchstrand
anzulegen, dass Zeit genug blieb, sich zu waschen, Festtagskleidung anzulegen
und auch noch ein Schwätzchen mit anderen Kirchgängern zu halten.
Wettkampfrudern
Nach
den Gottesdiensten drängte gewöhnlich alles recht schnell zum Aufbruch. Am
Strand bot sich dann letzte Gelegenheit, die Reste der Reiseverpflegung zu
vertilgen und Kräfte zu sammeln für das auf der Heimfahrt traditionell
bevorstehende Wettrudern. Hier wurden dann die wahren Qualitäten von Mensch und
Material getestet. Um die Gleiteigenschaften der Boote zu verbessern,
behandelte man die sie von außen mit Talg, Butter oder rohen Hühnereiern. Die
Anfeuerungsrufe des Steuermanns und die
unterstützenden Oberkörperbewegungen der nicht rudernden
"Mitreisenden" brachten die Wettkämpfer dazu, alles zu geben, ja
manchmal sogar mehr als das. Die dabei erlittenen Blasen und sonstige an den
verschiedensten Körperstellen erlittenen Verschleißerscheinungen mussten noch
Tage nach dem Wettrudern behandelt werden. Im Allgemeinen, fiel die Entscheidung
schon nach recht kurzer Renndauer wenn die ersten Boote sich von der Konkurrenz
abgesetzt hatten. Aber hin und wieder zogen sich die Rennen über etliche
Buchten und offene Wasserflächen der heimischen Gewässern hin, man ruderte
sogar kilometerweit am eigenen Dorfstrand vorbei, um den entscheidenden
Vorsprung vor den Gegnern zu gewinnen. Die Kirchboote entwickelten eine
erstaunliche Geschwindigkeit, was nicht verwundert, wenn bei dreissig bis vierzig durchtrainierte Ruderer es mit aller
Kraft vorantrieben. Durch das Wettkampfrudern wurden die Form der Boote und
deren Gleitfähigkeit immer weiter verbessert. Die Maße erfolgreicher Boote
versuchte man penibel zu verheimlichen, um deren Nachbau durch die Konkurrenz
unmöglich zu machen. Nach Ankunft am eigenen Strand wurden die Boote auf eigene
Böcke gezogen, die Ruder verwahrte man in einem der nahe gelegenen Bauernhöfe
oder jeder Ruderer nahm sein Ruder mit nach Hause. Neben den Kirchfahrten
fanden die Boote weiterhin bei Fahrten zu den Jahrmärkten der näheren Umgebung,
zur Nachbarschaftshilfe auf den Inseln der Heimatgewässer oder bei Umzügen
Verwendung, bei denen größere Menschengruppen befördert werden mussten.
Quellen:
Mirja Kosunen: Kirkkovenematkat,
Sylvi Sääski: Suomalaisista kirkkoveneistä ja-matkoista.